Für Tilmann Röhner
Tilmann Röhner lebt in Dennheritz, einem kleinen Dorf bei Glauchau. Bauernhöfe, Felder, Wiesen, ein Dorfbach, der bei Hochwasser zum reißenden Strom wird. Haus und Garten schmiegen sich in diese Landschaft, die nichts Aufregendes hat – aber schon, wenn man sich dem Anwesen nähert, verändert sich dieser Eindruck. Große Holzskulpturen senden ihre Signale aus, Figuren aus Metall und Gips stehen nebeneinander, und auch im Haus ist jeder Quadratzentimeter Wand, fast jede freie Fläche mit Kunst bestückt, bestellt – eigener und fremd-vertrauter. Allein dies erzählt etwas über Tilmann Röhner, seinen unermüdlichen Drang, etwas zu schaffen, sich auszudrücken, sich in Kunst zu verwirklichen, aber auch, sich mit anderen auszutauschen, Kontakte zu pflegen, Teil eines Ganzen zu sein, das nie vollständig, aber immer im Werden und im Sein ist.
Ganz in diesem Sein, im Jetzt und Hier ist auch Tilmann Röhners Kunst. Er zeichnet, er malt, er gestaltet in Holz und Metall und Gips. Begonnenes steht neben Fertigem, Farbiges neben monochromen Arbeiten, Plastiken neben Skulpturen. Manche Objekte korrespondieren miteinander, manche ergänzen einander, manche streiten miteinander. Während Zeichnungen, Aquarelle und Pastelle oft nahe am Gegenständlichen, Figurativen bleiben, sich so einem Eindruck, einem Erlebnis ganz hingeben, es nachklingen lassen, ohne es zu verfremden, sind die Skulpturen und Plastiken abstrakter, entfernen sich von der Realität, vom konkreten optischen Eindruck, nehmen statt dessen die Gefühle und Gedanken des Künstlers auf, verdichten sie in Formen von mal ganz urwüchsiger, mal subtiler Kraft.
Tilmann Röhner nutzt in seiner künstlerischen Sprache Anregungen aus der klassischen Moderne - Kubismus, Expressionismus insbesondere – vor allem aber sucht er nach der Form, die der beabsichtigten Aussage am meisten entspricht. Dass daraus nicht Beliebigkeit, sondern eine beeindruckende Vielfalt entsteht, hat etwas mit der Offenheit, Ehrlichkeit, mit der Begeisterung und der Leidenschaft zu tun, mit der Tilmann Röhner Künstler ist. Ganz gleich, ob es die aufgehende Sonne ist, die das Geäst eines Baumes in verzaubertes Licht hüllt und ihn zu einer kraftvoll leuchtenden Plastik inspiriert, oder die Faszination der Musik – ein zentrales Motiv in seinem Schaffen – der sich ein Saxophonist ganz hingibt, ein Liebespaar oder gewöhnliche Blumen im Garten – im Moment des Schaffens, des Gestaltens ist jedes einzelne der Motive das Einzige, das Wichtigste, das Bedeutendste, dem sich der Künstler hingibt, ausliefert, das ihn ganz und gar beschäftigt. Daraus resultiert die Magie seiner Arbeiten, die so dem Alltag Glanz und Dauer und eine Bedeutung über den Tag hinaus verleiht.
Kunst ist für Tilmann Röhner vor allem eine Form der Kommunikation – mit sich selbst und mit anderen. Ganz in dem Sinne, den der chilenische Dichter Pablo Neruda in seiner Nobelpreisrede ansprach: „Es ist nötig, die Einsamkeit und die Härte, die Kommunikationslosigkeit und das Schweigen zu durchqueren, um in den magischen Raum zu gelangen, in dem wir unbeholfen tanzen oder melancholisch singen können, wo der Tanz und das Lied die ältesten Riten des Bewusstseins in sich bergen, des Bewusstseins, Mensch zu sein und an ein gemeinsames Schicksal zu glauben." Tilmann Röhners Kunst ist in jeder ihrer unzähligen Ausprägungen ein Angebot zum Gespräch, zur Auseinandersetzung, zum Innehalten, Diskutieren, selbst zum Kritisieren – durchaus. ungewöhnlich für einen Künstler.
So einsam manches Werk entsteht, so sehr sucht es die Gemeinschaft, die Gesellschaft, die Solidarität Gleichgesinnter, Menschen mit offenem Herzen und offenem Geist. Das ist, als ob ein Mensch dem andern alles sagen möchte:
Ich möchte
Ich möchte, dass wir uns niemals belügen
Ich möchte, dass wir uns in die Augen sehn
Ganz gleich, wie sehr die Angst sich darin spiegelt
Ich möchte, dass wir diesen Blick bestehn.
Ich möchte, dass wir uns die Wahrheit sagen
Ich möchte, dass die Wahrheit gnädig ist
Und wenn wir manchmal daran sterben müssen
Dann möcht ich, dass es nicht die letzte Wahrheit ist.
Dies mag auch für diese Kunst gelten, die nicht auf letzte Wahrheiten, sondern eher auf die immer wieder neuen, immer wieder ersten Fragen aus ist.
Die Unermüdlichkeit, mit der Tilmann Röhner arbeitet – oft neben dem Beruf, mit dem er den Lebensunterhalt sichert – die immer neuen Fragen, die er stellt, die immer neuen Antworten, die er findet, übertragen sich auf den Betrachter seiner Werke als eine Art schöpferische Unruhe, die sich nicht zufrieden gibt mit der Welt, wie sie ist, die ihr etwas hinzufügen, etwas geben, etwas schenken möchte – die die Erde zu einem besseren, lebenswerteren Ort macht, ohne dabei vor den letzten Fragen und den ersten Antworten zurückzuschrecken.
Matthias Zwarg Juli 2014